Ahlens Sozial-Sightseeing: Von der Kolonie bis zum Kiosk
Organisiert wird das Ganze von der Familienbildungsstätte in Kooperation mit der Präventionskette der Stadt. Schon das klingt nach einem Programmheft zwischen Volkshochschule und Weltverbesserungsseminar. Ab 15 Uhr geht’s los – und zwar nicht etwa in die Innenstadt, sondern mitten hinein in das soziale Biotop, in dem Kinder und Jugendliche ihre täglichen Abenteuer bestehen.
Die Zielgruppe: neu eingepflanzte Lehrkräfte, eingeflogene Erzieherinnen, Sozialarbeiter mit Navi im Rucksack und all jene, die beruflich oder ehrenamtlich mit dem Nachwuchs der Stadt zu tun haben. Denn erstaunlicherweise kennen viele von ihnen Ahlen gar nicht. Sie kommen zum Arbeiten, fahren dann aber schnell wieder heim – wahrscheinlich irgendwohin, wo die Bahn noch öfter fährt.
Dabei ist es nach offizieller Lesart überlebenswichtig, zu wissen, wo Kinder spielen, Eltern schuften und Jugendliche Döner essen. Was ist die Kolonie? Was heißt „diesseits und jenseits der Bahn“? Wer das nicht versteht, kann im Sozialpädagogen-Mikado nur verlieren. Schließlich sind das Grundkenntnisse – wie Vokabeln für die große Prüfung des Alltags.
Die Teilnehmenden bekommen also eine Exkursion in die Lebenswirklichkeit: Wo Kinder einkaufen (Tipp: nicht im Bioladen), wo Jugendliche abhängen (Tipp: nicht in der Bibliothek), und wo Eltern schuften (Tipp: überall, wo es nicht nach Homeoffice aussieht). Ein sozialer Safari-Trip, nur ohne Fernglas, dafür mit Flipchart im Kopf.
Als Reiseführer fungiert niemand Geringeres als ein ehemaliger Bürgermeister – weil kein Stadtschlüssel besser passt als einer, der mal alle Schlüssel hatte. Wer sonst könnte erklären, was „jenseits der Bahn“ wirklich bedeutet? Vermutlich so etwas wie: „Hier endet die Hoffnung, da drüben beginnt die Realität.“
Statt Postkartenmotive gibt es hier also pädagogische Landmarken: den Spielplatz, wo die Zukunft über marode Schaukeln diskutiert; die Kolonie, wo Geschichte auf Gegenwart trifft; und die Bahn, die wie immer trennt, was zusammengehört.
Natürlich geht es nicht nur ums Schauen, sondern auch ums Vernetzen. Denn wer Kinder unterstützen will, muss wissen, welche Strukturen vor Ort existieren. Das klingt edel – ist aber im Grunde nichts anderes als eine XXL-Vorstellungsrunde im Freien. Statt „Ich bin XY vom Jugendamt“ im Seminarraum heißt es nun: „Ich bin XY und stehe gerade auf dem Bolzplatz.“
Am Ende werden die Teilnehmenden nach Hause gehen mit einem tieferen Verständnis für Ahlens soziale DNA – und vermutlich auch mit dem festen Vorsatz, beim nächsten Mal wenigstens einen Stadtplan mitzubringen. Denn eins steht fest: Ahlen ist kein Ort, den man nur von Google Maps aus kennenlernen sollte.
Fazit: Eine Stadtführung, die weniger nach Sightseeing und mehr nach Sozialpraktikum klingt. Aber immerhin – besser als noch ein PowerPoint-Vortrag über „interdisziplinäre Netzwerke“. Und ganz ehrlich: Wo sonst bekommt man gratis erklärt, wo Ahlen diesseits und jenseits der Bahn endet?