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Arbeit, Wirtschaft, Gleichstellung – oder: Die hohe Kunst des Warendorfer Sitzungsmarathons

Warendorf. Während der Rest der Republik noch mit der dritten Tasse Kaffee ringt, öffnet sich am 24. September 2025 um 9 Uhr im ehrwürdigen Ausschusszimmer des Kreishauses das Tor zu einer Parallelwelt: dem „Ausschuss für Arbeit, Wirtschaft und Gleichstellung“. Ein Name so lang wie die Sitzung selbst – und vermutlich genauso schwer verdaulich wie der Kantinenkaffee im Erdgeschoss.

Arbeit, Wirtschaft, Gleichstellung – oder: Die hohe Kunst des Warendorfer Sitzungsmarathons

TOP 1: Fragestunde – Demokratie in Reinform

Los geht es traditionsgemäß mit der „Fragestunde für Einwohnerinnen und Einwohner“. In der Theorie dürfen hier die Bürger ihre Herzensanliegen vortragen. In der Praxis gleicht es eher einer Mischung aus Poetry-Slam, Offenem Mikrofon und Therapiesitzung. Die Verwaltung beantwortet freundlich alles, was sich in weniger als 30 Sekunden googeln ließe. Doch die wahre Magie liegt darin, dass jeder, der sich traut, ins Protokoll eingeht. Gratis Ruhm – ohne Likes, aber immerhin mit Stempel.

TOP 2: Bericht der Verwaltung – das akustische Schlaflied

Dann folgt der „Bericht der Verwaltung“. Ein Programmpunkt, der so sicher im Ablauf steht wie der Sonnenaufgang. Inhaltlich meist irgendwo zwischen „Excel hat geladen“ und „wir haben uns bemüht“. Aber es ist die Ouvertüre für das, was kommt: harte Fakten, große Ideen und kleine Seitenhiebe. Ein Warm-up, das den Blutdruck sanft nach unten reguliert.

TOP 3: Das Jobcenter rockt die Statistik

Das Jobcenter schickt seine Spitzenkräfte ins Rennen und präsentiert einen „Bericht zum Arbeitsmarkt“. Zahlen, so viele Zahlen: Arbeitslosenquoten, Bedarfsgemeinschaften, Eingliederungstitel. Allein beim Wort „Bedarfsgemeinschaft“ nicken Insider wissend, während Außenstehende heimlich googeln, ob es sich um eine Selbsthilfegruppe für Kaffeetrinker handelt.

Die Präsentation bringt es an den Tag: Im August 2025 gab es im Kreis 2.492 offene Stellen. So viele, dass man sich fragt, ob die Arbeitgeber heimlich auf „Bewerber aus Hogwarts“ hoffen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,9 Prozent. In NRW sind es 8,0 Prozent – ein Grund für das Jobcenter, fast Champagner zu bestellen. Aber man bleibt bescheiden: Stattdessen gibt es Folien mit Balkendiagrammen, die bunter leuchten als jedes Wahlplakat.

Besonders spannend: die „Vermittlungsoffensive“. Ziel: Jede erwerbsfähige Person bis Jahresende einmal gesehen, gehört und beraten haben. Ein Plan so ambitioniert wie „Weihnachten fällt auf Juni“. Doch immerhin hat das Jobcenter schon 84 Prozent kontaktiert. Der Rest wird spätestens an Silvester zwischen Raclette-Pfännchen und Bleigießen erreicht.

TOP 4: Internationale Fachkräfte – das große Casting

Danach betritt die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (gfw) die Bühne. Motto: „Fachkräfte aus dem Ausland – weil der heimische Arbeitsmarkt schon leergefegt ist wie der Kühlschrank nach dem Schützenfest.“

Die Strategie klingt wie ein Eurovision Song Contest der Arbeitswelt: Gärtner aus Andalusien, IT-Fachkräfte aus Mexiko, Azubis aus Honduras, Kolumbien und Usbekistan. Wer noch glaubt, Warendorf sei provinziell, sollte mal ins Kreishaus schauen: Hier wird die Globalisierung nicht diskutiert, hier wird sie durchgereicht wie das belegte Brötchen in der Kaffeepause.

Die gfw hat dafür ganze Panels: von der Visumspflicht bis zum Onboarding. Es fehlt eigentlich nur noch ein Panel „Integration über Kaffeeklatsch“ und die Sache wäre rund. Besonders hip: „Welcomeguides“, quasi die Eventmanager für ausländische Fachkräfte. Man darf gespannt sein, ob es bald Warendorfer Stadtführungen mit dem Titel „Hier arbeitet ihr, hier zahlt ihr Steuern“ gibt.

TOP 5: Bürgergenossenschaften – die große Wohnutopie

Dann wird es ideologisch: Ein Antrag fordert die Förderung von Bürgergenossenschaften zum Zwecke des Wohnungsbaus. Endlich! Statt den Wohnungsmarkt den Haifischen zu überlassen, sollen Bürger selbst die Bauherren sein. Klingt nach Demokratie mit Maurerkelle und Wasserwaage.

Die Vision: Menschen schließen sich zusammen, legen Geld in den Topf und bauen gemeinsam ihre Zukunft – ohne Investor, dafür mit Genossenschaftskarte. Wer sein Eigenheim nicht bauen kann, darf wenigstens die Vorstandssitzung moderieren. Kritiker sagen: „Das klappt nie.“ Befürworter entgegnen: „Vielleicht, aber es klingt gut!“ Und in der Politik gilt bekanntlich: Wer es gut klingen lässt, hat schon halb gewonnen.

TOP 6: Istanbul-Konvention – der Ernst der Gleichstellung

Zum Schluss noch ein Thema von globaler Tragweite: die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Übersetzt heißt das: Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt, und zwar nicht nur auf Hochglanzbroschüren, sondern in echter Praxis.

Die Anfrage listet Fragen, so lang wie die Schlange beim Bratwurststand: Welche Maßnahmen seit 2018? Gibt es Bedarfsanalysen? Wie viel Geld fließt in Frauenhäuser? Werden Kinder konsequent geschützt? Kurz: ein Katalog, der jede Verwaltung ins Schwitzen bringt.

Die Pointe? Hier prallen zwei Welten aufeinander: Politik mit Pathos („Wir schützen Frauen und Kinder, koste es was es wolle!“) und Verwaltung mit Formularen („Bitte reichen Sie dazu Anlage 27c in dreifacher Ausfertigung ein“). Aber immerhin: Es wird gefragt, es wird geantwortet – und damit ist der erste Schritt getan.

Ein Ausschuss wie ein Jahrmarkt

Was bleibt nach fast vier Stunden Sitzung? Ein Gefühl, als habe man den ganzen Jahrmarkt durchlaufen:

Die Fragestunde war die Losbude,

  • der Verwaltungsbericht das Fahrgeschäft, das keiner fahren wollte,
  • das Jobcenter die Achterbahn der Statistiken,
  • die gfw der internationale Food-Court,
  • die Bürgergenossenschaften die Geisterbahn der Visionen,
  • und die Istanbul-Konvention das Feuerwerk zum Schluss.

Kurzum: Demokratie live. Nicht immer spektakulär, manchmal etwas sperrig – aber stets mit dem Charme eines Provinz-Parlaments, das glaubt, die Welt retten zu können. Und wer weiß: Vielleicht tun sie es sogar, während draußen die Welt denkt, in Warendorf passiere eh nichts.