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London, die Demo und der XXL-Patriotismus-Flashmob

London kennt vieles: königliche Hochzeiten, Brexit-Drama, U-Bahn-Störungen im Minutentakt. Aber das, was da an diesem Wochenende los war, stellte sogar den letzten Auftritt einer schief singenden Casting-Show-Kandidatin in den Schatten: 110.000 Menschen marschierten durch die Hauptstadt, um die Apokalypse der eigenen Fantasie heraufzubeschwören.

London, die Demo und der XXL-Patriotismus-Flashmob

Auf den Fahnen stand „Stoppt die Boote“, aber man hätte genauso gut „Stoppt das Denken“ drüberschreiben können. Nebenbei gab’s noch ein paar selbsternannte Anti-Transgender-Aktivisten, die wohl dachten, der Protest wäre eine Art Karneval der Ressentiments.

Szene eins: Der Massenaufmarsch.

Die Straßen füllten sich mit Union Jacks und englischen Flaggen, als wäre gerade ein Finalspiel im Wembley. Nur dass diesmal nicht elf Leute gegen einen Ball, sondern 110.000 gegen die Realität antraten.

Szene zwei: Die Gegenseite.

5.000 Menschen hielten dagegen, Motto: „Marsch gegen Faschismus“. Ihre Schilder: „Flüchtlinge willkommen“, „Frauen gegen Rechts“. Übersetzt: ein bisschen Hoffnung gegen eine Flut von Parolen. Dass die Polizei hier den Überblick behalten konnte, grenzt an britischen Humor. 1.500 Beamte – inklusive Leihgaben aus Cornwall, das man bisher nur für Strandurlaube und Pasteten kannte – stellten sich zwischen die Lager wie menschliche Regenrinnen.

Szene drei: Die Promi-Einlage.

Und weil es nicht peinlich genug sein kann, schaltete sich auch noch ein Tech-Milliardär per Videobotschaft dazu. Seine Botschaft: Großbritannien sei in Gefahr, die BBC böse, die Meinungsfreiheit bedroht. Die einzige Frage bleibt: Wer hat eigentlich entschieden, dass ausgerechnet ein Mann mit Raketenfetisch der spirituelle Coach der britischen Provinzpatrioten sein darf?

Szene vier: Der Import aus Europa.

Als sei das alles nicht schon grotesk genug, reisten auch noch Rechtsaußen-Delegationen aus dem Kontinent an. Quasi Erasmus für Extremisten: „Heute London, morgen Warschau, übermorgen Berlin.“ Dazu ein geplanter Auftritt eines amerikanischen Dauer-Strategen, der allerdings so geheimnisvoll im Raum blieb wie ein verschollener Koffer auf Heathrow.

Szene fünf: Die Heiligsprechung.

Ganz neu im Programm: Religion. Plötzlich wurde die Demo als christliche Ersatzmesse inszeniert. Kreuz statt Kreuzfahrt, „Identität“ statt Identitätskrise. Wer vorher nur „Boote stoppen“ wollte, marschierte nun auch gleich für die Wiederentdeckung des Abendlandes.

Und dann die Krönung:

Ein ermordeter US-Podcaster wurde als Märtyrer gefeiert. Die Szene inszenierte sich wie eine Netflix-Serie: Titel „Patrioten: Staffel 12“, Untertitel „Diesmal mit 110.000 Komparsen“.

Zwischenbilanz:

  • 110.000 Rechte: laut, Fahnen, Parolen.
  • 5.000 Gegendemonstranten: Schilder, Stimme, Haltung.
  • 1.500 Polizisten: Schweiß, Nerven, Pferde.
  • Ein Tech-Milliardär auf Videoleinwand: unbezahlbar.

London wurde zum Theater der Absurditäten. Ein gigantischer Flashmob der Angst, dekoriert mit Nationalfahnen und Parolen aus der Mottenkiste. Das Einzige, was hier wirklich „gestoppt“ wurde, war der Glaube daran, dass man im Jahr 2025 mit gesundem Menschenverstand noch irgendwen vom Sofa lockt. Die britische Hauptstadt hat gezeigt: Wer glaubt, der Brexit sei das Ende der Satire gewesen, der hat diese Demo noch nicht gesehen.