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Nordstraße – die große Versuchung

Seit dem 14. April macht Ahlen das, was sonst nur in Fernsehshows passiert: einen groß angelegten Stresstest für Autofahrer. Die Linksabbiegespur in die Gerichtstraße? Einfach mal dicht. Die Ampeln? Haben Urlaub genommen. Ziel des Ganzen: Herausfinden, ob man in Ahlen überhaupt noch Regeln braucht – oder ob Chaos das neue Konzept ist.

Start mit Vollbremsung

Die ersten Tage: pure Verwirrung. Die vorgeschriebenen, durchgestrichenen Fahrbahnmarkierungen wirkten wie ein Geheimcode für Eingeweihte. Viele Autofahrer dachten ernsthaft, die komplette Gerichtstraße sei nun so gesperrt wie sonntags der Getränkemarkt. Entsprechend laut war das Hupkonzert der Empörung. Doch dann merkten die ersten: Man kann ja tatsächlich noch abbiegen – man muss nur kurz sein Nervenkostüm ablegen.

Bürgerbeteiligung mit Meinungsstau

Über das städtische Beteiligungsportal trudelten rund 90 Stellungnahmen ein. Am Anfang: fast nur Kritiker. Von „unverantwortlich“ über „mein Arzttermin dauert jetzt doppelt so lang“ bis „und was ist mit meinen belegten Brötchen vom Bäcker?“ war alles dabei. Manche sahen schon einen Verkehrskollaps epischen Ausmaßes auf die Stadt zurollen.

Dann aber – Wunder über Wunder – drehten sich die Stimmen. Plötzlich lobten Bürger den „flüssigen Verkehr“ und die „neue Freiheit ohne Ampel“. Weniger Warterei, weniger Frust, mehr Flow. Einige fühlten sich fast wie auf der A2, nur ohne LKW-Kolonne. Dazu hagelte es Verbesserungsvorschläge: mehr Zebrastreifen, klarere Radwege, hübschere Flächen. Ahlen als Zukunftslabor – man glaubt es kaum.

Beobachtungen am Straßenrand

Straßenplanerin Marion Kremer stand während der Testphase wie eine Wachtmeisterin der Verkehrspsychologie an der Nordstraße. Ihre Diagnose: Nach einer kurzen Eingewöhnung läuft’s. Aber: Radfahrer und E-Rollerfahrer haben offenbar die Richtungskompetenz eines betrunkenen Navigationsgeräts. Manche queren die Nordstraße, als sei sie eine grüne Wiese – einfach los, Augen zu, durch. Erkenntnis: Verkehrsregeln sind optional, solange man glaubt, unverwundbar zu sein.

Blick in die Glaskugel

Im September entscheidet der Betriebsausschuss, ob dieses große Ampel-Exil bleibt oder ob doch wieder das altbekannte Rot-Gelb-Grün die Macht übernimmt. Bis dahin dürfen Polizei, Verkehrsbehörde und Busunternehmen noch ihr Urteil abgeben. Wir sind gespannt: Wird die Nordstraße Ahlens Antwort auf den Berliner Flughafen – nur pünktlich fertig? Oder bleibt es ein weiteres Kapitel in der unendlichen Saga: „Experiment Provinz – jetzt auch ohne Ampel“.