Warendorf schreibt zurück – jetzt mit Stadtschreiber
Der Ort: ein windschiefes Häuschen in der Gerichtsfuhlke. Der Anlass: das 825-jährige Stadtjubiläum. Die Idee: Wenn schon kein ICE hält, dann wenigstens ein Dichter.
Kulturpolitik deluxe – Schreib, sonst stirbt die Identität
Die Stadtverwaltung ließ verlauten: „Wir brauchen dringend etwas, das so aussieht wie kulturelle Hochwertigkeit.“ Also: Ein Residenzstipendium! Vier Monate Zeit, ungestört zu schreiben – vorausgesetzt, der Nachbar mäht nicht gerade seinen Rasen.
Die Altstadtfreunde, die sonst mehr für Pflastersteine als für Prosa brennen, waren begeistert: Endlich mal ein Projekt, bei dem man nicht die nächste Mauer sanieren muss, sondern einfach einen Autor ins Haus setzt und hofft, dass er nicht zu viel Kaffee verschüttet.
Natürlich musste ein Förderantrag bei der Kulturstiftung her. Denn was wäre deutsche Kultur ohne Anträge, Formulare und Sparkassenlogo? Genau: ein Gedicht, das keiner drucken darf.
Jury-Showdown im Provinz-„Supertalent“
44 Bewerbungen trudelten ein – aus allen Himmelsrichtungen: Berlin, Wien, Basel, Straßburg. Die halbe Literaturwelt wollte offenbar unbedingt nach Warendorf, vermutlich aus purer Abenteuerlust: „Mal schauen, wie lange ich es in einer Stadt ohne U-Bahn aushalte.“
Eine siebenköpfige Jury – bestehend aus Menschen, die so wirken, als hätten sie alle ein Abo auf Feuilleton-Artikel – beriet stundenlang. Ergebnis: ein einstimmiges Ja für genau den Kandidaten, der jetzt vier Monate lang Warendorfs Kopfsteinpflaster mit Notizen vollkritzeln darf.
Stadtschreiber trifft Stadtoberhaupt
Zur Begrüßung wurde der neue Kulturgast offiziell vorgestellt. Das Stadtoberhaupt glänzte mit einem Satz, der klingt wie aus einem Managementseminar für Lyrik: „Ich freue mich auf den Output in unserer Stadt.“ Output – als wäre der Schriftsteller ein Drucker, der demnächst zwischen Rathaus und Aasee PDFs ausspuckt.
Natürlich kaufte der oberste Vertreter der Stadt gleich ein Buch des Autors – damit wenigstens ein Exemplar in Warendorf verkauft wird.
Die Nachbarschaft reagiert
Inzwischen hat sich auch die Nachbarschaft arrangiert: Man grüßt freundlich, fragt aber insgeheim, ob der Mann im Zigarrenmacherhaus nicht einfach nur sehr lange Homeoffice macht.
Gerüchte kursieren, er würde im Café am Marktplatz ganze Szenen schreiben, während er ein Stück Streuselkuchen vernichtet. Andere meinen, sie hätten ihn beim Spaziergang am Emssee dabei beobachtet, wie er verzweifelt nach einer Metapher suchte – oder nach WLAN.
Literatur als Provinzshow
Warendorf hat jetzt also seinen Stadtschreiber. Vier Monate lang Kultur auf Probe, finanziert von Sparkasse und organisiert von Menschen, die „Output“ sagen, wenn sie ein Gedicht meinen.
Am Ende wird die Stadt vermutlich mit einem Roman geehrt, in dem es mindestens drei Sätze über Fachwerk, Kopfsteinpflaster und den Duft vergangener Zigarren gibt. Und Warendorf wird sich stolz auf die Schulter klopfen: „Seht her, wir sind mehr als Pferde und Prozessionen – wir haben Literatur!“